Präferenzutilitarismus
Manchmal ist es sehr schlecht, in einem Lehrerkollegium zu arbeiten.
Warum? Weil da so viele schlaue Leute sitzen und Einblicke in verschiedenste Fachgebiete haben.
Dieses Mal hatte ich ein Gespräch mit einem Religionslehrer. Und wir hatten das Thema „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da waren wir uns völlig einig. Und dann kam das Gespräch auf einen Philosophen, der den sogenannten Präferenzutilitarismus vertritt.
Bitte was? Noch nie zuvor gehört. Besser ist das, kann ich da nur sagen.
In dieser gedanklichen Ecke der Philosophie überlegt man doch tatsächlich, welches menschliche Leben lebenswert ist und welches „wegrationalisiert“ werden kann. Wer mehr dazu lesen will braucht nur im Internet obiges ellenlanges Wort eingeben.
Der Platz auf meiner Seite ist mir für so etwas zu schade.
Als Mutter eines geistig behinderten Kindes bleibt mir bei solchen Denkmustern die Spucke weg.
Ich habe auch keinerlei Lust, mich mit solchem Gedankengut näher auseinanderzusetzen. Ich kann diesem Weltbild nichts, aber auch gar nichts, abgewinnen und kann Vertretern dieser Philosophie nur wünschen, dass sie selbst nie in die Situation kommen durch Krankheit oder Unfall zu den „nutzlosen“ Menschen zu gehören.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass uns geistig behinderte Menschen oft weit voraus sind. Besonders im zwischenmenschlichen Bereich. Sie schauen Einem direkt ins Herz. Sie spüren, ob ein Mitmensch sein Herz am richtigen Fleck hat.
Mein Kleiner ist der Inbegriff von Lebensfreude. Ich kenne keinen einzigen Menschen, der das Essen einer Kugel Eis so zelebrieren kann, wie er. Der aus lauter Kehle singt, wenn er gerade Lust dazu hat. Der wildfremde Menschen umarmt, einfach nur, weil sie ihm sympathisch sind.
Vor Kurzem waren wir Zwei einkaufen. An der Kasse, inmitten einer langen Schlange, am Abend, wo alle nur noch nach Hause wollten, strahlte er die Kassiererin an, formte seine Hände zu einem Herzen und sagte: „Ich lieb‘ dich!“ Darauf ich: „Stellen Sie sich mal vor, dass würde jeder zu Ihnen sagen, der an der Kasse ansteht. Das wäre was, oder?“ Die Reaktion der Kassiererin? Sie hat ihm einen Schokonikolaus geschenkt. Und dem Bruder, der gar nicht dabei war, gleich Einen dazu.
Wäre mein Kleiner ein Kind ohne Handicap, dann würde ich mir ernsthaft Sorgen machen, was für ein berechnendes Kind ich da großziehe. Aber dadurch, dass er geistig behindert ist, weiß ich, dass keine Hintergedanken mitspielen. Und das ist so etwas Besonderes in unserer Gesellschaft, dass alle Menschen, die sich auf eine Begegnung mit ihm einlassen, beschenkt daraus hervorgehen.
Das ist wahre Lebensfreude. Und die macht das Leben lebenswert.